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Sonntag, 17. Dezember 2017

Die Vergewaltigung

Ich war bei Antje. Bei ihr war ich gerne. Sie hat mich immer verstanden, Ihre Mutter war offen, lustig und hat mir stets das Gefühl gegeben dazu zu gehören und besonders zu sein. Wie wundervoll es war, sich auf das Fahrrad zu setzen und in dreißig Minuten diesem Leben zu entfliehen, in welchem ich nicht sagen durfte wer und vor allem was ich bin. Es wäre so einfach gewesen, wenn ich ein Ingenieur geworden wäre, alle stolz gemacht hätte. Das einzige was ich konnte, war denken, mich einschließen. In eine Welt, die von Sissi und manchmal auch den Spice Girls dröhnend in meinem Walkmen bestimmt war. Bis ich lernte, das man so schnell erwachsen werden kann, das man nicht mal bemerkt hat, dass es einen ereilt hat.
Ich hatte die Wahl, zwischen zwei Bussen, der eine fuhr natürlich direkt vor die Haustür, der andere hielt zwischen einer Polizeistation am Blumberger Damm (Berlin Marzahn) und einem Asylantenheim (so nannte man das damals). Da ich gerne das verpeilte Kopfhörerkind war, habe ich den ersten Bus natürlich nicht erreicht, einfach weil ich nie von Antje weg wollte. Da hatte ich doch mein zweites Zuhause.
Ich stieg also in den Bus, ich hatte das Lied "Two become one" als Dauerschleife auf den Ohren, denn es hatte die Harmonien, welche ich später bei den No Angels oder anderen Girlbands lieben würde.
Ich saß da, grinsend, denn ich fühlte mich als kleiner Schwuler Mann wie ein Teil der Girls. Ich konnte jeden Schritt, jeden Ton, kannte alles, was mit meinen Idolen zu tun hatte. Ich fand es kalt in dem Bus. Aber das hinterfragt man ja nicht.
Ich stieg nach ein paar Stationen aus. Ich kannte den Weg. Ich fühlte mich beobachtet, konnte es aber nicht einordnen. Wie auch? Ich war 15! Was ist man mit 15? Weder fertig, noch perfekt, man versucht mehr zu sein, als das Leben letzten Endes hergibt. Ich wackelte also summend den Pfad entlang, denn für einen Weg, welcher befestigt war, hatte es trotz eines riesen Elfgeschossigen Gebäudes nicht gereicht. Ich war beschwingt. Ich war in einen Jungen aus meiner Klasse verliebt und immer dann stellte ich mir vor, wie er mich ansah und mir seine Liebe gestand. Das fand ich tröstend. Es machte mich, obwohl es nie geschah, bis auf einmal, als ich bei Katja war und er mir am Telefon signalisierte das ich etwas besonderes war, irgendwie glücklich. Wenn man es Glück nennen konnte, dass eigentlich keiner wusste, dass man gleich nach Hause ging und versuchte Flaschen zu verstecken, am Telefon zu lügen und dann wieder weg wollte. Aber wohin? Wege sind manchmal verschlossen, wenn sie vor der Tür beginnen.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Ich nahm die Stöpsel aus meinen Ohren. Keine Ahnung ob dieses Lied weiter lief.
Der Weg war nicht beleuchtet, geschah erst später.
Er drehte mich um, ich erkannte in der Silhouette das er stark und breit war, mehr leider nicht. Er nahm meine Schulter als sei ich ein Streichholz, vielleicht war ich das auch. Zerbrechlich und entflammbar. Stärke und Schwäche in einer Person.
Er verdrehte mir den Arm und drückte mich gegen den Zaun, mein Gesicht brannte sich in die Gitter, manchmal spüre ich die Abdrücke noch. Als wären sie Brandmale für meine Schande. Er drückte sein Gemächt gegen meinen Hintern, während er mich immer fester gegen den Zaun drückte. Im ersten Moment wollte ich schreien, im zweiten wurde mir etwas bewusst. Wer sollte mir glauben? Ich hatte gefärbte Haare, einen Sinn für Fantasie und war Schwul!!!! Alle würden denken, ich hätte IHN herausgefordert. Hatte ich das? Hatte ich Spaß signalisiert? Fiel er mir vorher auf? Gab ich Zeichen?
Sein Atem auf meinem Nacken. Es war kalt. Vielleicht weil ich mittlerweile vor Angst schwitzte. Er griff in meinen Schritt, an meinen Po. Ich wand mich. Das war ein Fehler. Es machte ihn nur noch Stärker. Als hätte ich durch meine Ablehnung ein klares Signal gesendet. Wäre ich doch nur weg gewesen.
Ich höre sein Schnaufen. Zwischen Geilheit und Vorsicht nicht einzuordnen, ich beschließe nichts zu tun. Ich will doch nur nach Hause.
Meine Hose ist zur Hälfte unten, wann hat er das getan? Und warum eigentlich? Ich will aufhören zu denken und wenn es möglich wäre, seinen dreckigen Körper zu verlassen, so würde ich jetzt gerne gehen. Ich höre wie er spukt und dann ein Ruck, der mich aufschreien lässt. Es tut weh. Ich will den Mund öffnen. Ich kann nicht. Er drückt ihn mit aller Macht zu. Ich schreie tonlos in seine Hand. Mit jedem Stoß etwas lauter. Niemand hört mich. Ich bin ein 15jähriger, mit dem Gesicht im Zaun, welcher vergewaltigt wird und niemanden als Beistand hat.
Er wird schneller, ist rasend, sagt mir das er mich töten wird.
Ich weine, ich schreie, immer noch in seine Hand.
Er kommt, ergießt sich und meine Angst turnt ihn umso mehr an. Ein Schlag auf meinen Hinterkopf und er lacht. Ich höre wie er die Hose hochzieht und den Zipper betätigt. Schritte.

Ruhe!

Ich bin 15! Entjungfert. Unfreiwillig. Und niemand wird mir zuhören oder glauben. Ich stehe am Zaun, das Gesicht im Raster versunken, schreie, ohne den geringsten Ton. Ich warte auf das Messer, auf den Schuss, was immer er tun wird, um mich zum Schweigen zu bringen, aber es passiert nichts. Ich taste nach meiner Hose, ich muss mich bedecken! Um mich herum Dunkelheit. Ich muss laufen, kann aber nicht, weil mir jeder Schritt weh tut. Ich habe Angst. Ich schwitze, ich will umarmt werden.
Ich laufe den dunklen Weg entlang, was ich nie wieder tun werde und schreie immer wieder um Hilfe. Nur leider so leise, als würde ich weiter in seine lachende, hohle Hand schreien.
Ich bin im Fahrstuhl, richte mich, versuche zu funktionieren. Ich bin doch endlich in meinem Haus. Warum habe ich nicht den ersten Bus geschafft? Warum bin ich heute nicht Fahrrad gefahren?
Ich schließe auf...

"Warum bist Du zu spät?", fragt meine Mum!

Ich küsse sie auf die Stirn und gehe ins Bad.
Ohne ein Wort.

Hätte ich jetzt nicht duschen müssen? Ich kann nicht, Ich übergebe mich heftig. Ich spüre IHN IN MIR!!!!
Ich lasse den Duschhahn laufen, lehne meinen Kopf gegen die Toilettenbrille und zwischen dem Wasser und dem Kotzen weine ich!

Ich bleibe dort, wieder keine Ahnung wie lange, was spielt Zeit für eine Rolle, wenn Dir jemand Deine Würde genommen hat?

Ich krabble in mein Bett. Ich mache das Lied "Two become one" an und versuche zu schlafen. Es wird die erste Nacht von vielen sein, in welchen ich ihn rieche, spüre, sein Lachen höre und mir wünschte, ich wäre in jener Nacht oder Abend andere Wege gegangen.


Angst!

Sie ist seitdem ein Begleiter den ich nicht ausschalten kann.
Ich versuche immer noch der lauteste im Raum zu sein. Den lautesten würde man doch vermissen, wenn er mit dem Gesicht im Zaun wäre, oder?
Da würde doch mal jemand fragen?!
Wenn ich nur frech und präsent genug bin, kann doch niemand denken, ich würde ihm ein Zeichen geben mich ungefragt zu nehmen?!

Ich ging am nächsten Tag in den Unterricht, bis ich zusammenbrach. Niemand glaubte mir. Ja, ich hatte oft auf mich aufmerksam machen wollen, weil ich mich nicht wagte zu sagen was ich war. Ich habe diese Lektion gelernt. Ein Clown ist immer einsam, wenn er sich abschminkt.

Ich sitze hier und während ich das schreibe, läuft das Lied der Spice Girls. Heute hat es eine Bedeutung für mich, wenn zwei Menschen EINS werden. Vor allem eine Entscheidung. Und diese muss ausschließlich FREIWILLIG sein!!!

Sagt NEIN, wenn ihr empfindet, dass es nicht richtig ist, was euch passiert, sagt es laut, nehmt Freunde und Familie mit ins Boot. Duschen könnt ihr später, denn ist es erstmal passiert, wird es sich lange nicht so anfühlen, als sei der Schmutz weg. Vertraut auf euer Herz. Seid LAUT!!!

Ich liebe euch, euer Robert.