Du siehst mich mit Deinen großen blau- grauen- manchmal grünen Augen an und ich sehe ein Lächeln. Ich bin mir nicht sicher, dass es wirklich da ist. Ich drücke Nancy's Hand und will eine Versicherung. Sie drückt zurück. Wir sind uns sicher, dass Du heute einen tollen Tag hattest, immerhin wurdest Du mit dem kompletten Bett hinausgeschoben, in die Sonne, Dein zweites Zuhause und auch in Richtung der Hüpfburg. So sind wir Dir entgegen gelaufen, überrascht, dass es überhaupt möglich ist.
Zeitsprung.
Du hast mir nach meiner Arbeit am Telefon eröffnet, dass Du wirklich schwer krank bist, es zumindest vermutest. Ich saß im Auto von Carolin und wiederholte stumpf Deine Worte: "Ich bin auf der Onkologie.", war es genau und ich sagte es nach, als wäre ich in der Schule und würde neue Worte lernen. Instinktiv nahm Caro meine Hand und drückte sie. Ihr war klar, was es bedeutet, wie gerne wäre ich dumm geblieben. Ich weinte sofort, ich reagiere nämlich sehr auf Berührungen, weil ich irgendwie spüre, wann sie von Herzen kommen. Ich habe sofort zu Ralf gesagt, dass ich dabei sein muss.
Zeitsprung.
Es ist Januar, ein beschissener Januar in Berlin, denn während ich in Stuttgart mit Turnschuhen eingestiegen bin, muss ich in Berlin feststellen. dass ich festklebe, sobald ich aussteige. Ich eile zu Dir, morgen bekommen wir das Ergebnis Du hast eine Bitte: "Egal was morgen gesagt wird, bitte weine nicht!" Oh je, denke ich mir, wie soll ich dass schaffen? Aber ich verspreche es. Ich will der Starke sein, DEIN Zuhause.
Wir irren über die Gänge, sind nervös, machen unangebrachte Witze, etwas wofür ich bis heute Deine Schwester, meine Tante, liebe, denn sie hat ebenso wie ich, begriffen dass unser Leben sehr beschissen sein kann und nur der Humor uns am Ende verbindet. Und ja, ich werde auf sie achten!
Die Ärztin ruft uns ins Zimmer...ich atme schwer, eigentlich kaum hörbar, aber Du spürst es und siehst mich nur an. Ich verstehe den Blick und frage fast kleinlaut, wohin ich mich setzen darf. "Gegenüber", sagt die Ärztin tonlos. Ich sitze, sauge Luft ein, als wäre sie unendlich.
"Leider muss ich ihnen mitteilen....", dann Stille. Ich hasse Stille bis heute, sie macht mich traurig, weil Du in diesen Momenten nicht meine Hand nehmen kannst, um mir zu sagen, dass alles gut wird.
"Es ist das schlimmste eingetreten. Sie haben Krebs."
Ich schaue von Dir auf Deinen Freund, nicht in der Lage zu reagieren. "Wie lange?", frage ich fast mechanisch.
Die Ärztin. auf die Frage vorbereitet sieht mir fest in die Augen und sagt diesen einen Satz: "Das kann man so nicht sagen, aber sie sollte genießen!"
Ich stoße den Stuhl zurück und renne aus dem Raum. Ich erinnere mich an das Versprechen nicht zu weinen. Ich weine vor der Tür, die Hände vor dem Gesicht, kann nicht glauben, dass dies nun mein Leben ist. Wir waren nach allem was wir erlebt haben, Seelenverwandt und nun sollte ich allein sein.
Sie sieht mich fest an, als sie aus dem Zimmer kommt, zündet sich vor der Tür eine Zigarette an und lächelt mich an. Dieses Lächeln, so voller Liebe, mein Heim, dass kann ich nicht mal geschrieben erklären.
"Ruf bitte alle an", sagt sie, mit einer Träne in den Augen, weil sie wusste, was es mit mir macht.
Als erstes rufe ich Ihre Schwester an. Ich sage die Worte: "Sie hat Krebs" und ich höre wie meine Tante ganz leise zerbricht. Als könnte man das Knacken in ihrem Herzen spüren.
Dann der schlimmste Teil: "Oma, ich muss Dir leider mitteilen, dass Mama Krebs hat."
Dieser Ton, dieses Seufzen, diese Trauer ist mein Begleiter, wenn es darum geht, heute mein Leben zu genießen. Ich habe in diesem Moment gelernt was es bedeutet, Erwachsen zu sein.
Wir treffen uns einen Tag später bei Mama, alle da, viele Tränen, viele Ängste, ich trenne mich von meinem Freund am Telefon, ich kann nicht an zwei Plätzen Krieg führen, wir müssen dem Krebs zeigen, dass wir stärker sind, so viel stärker...!!!
Zeitsprung.
"Wollen wir einen Film schauen?", frage ich in den Raum. Sie liegt seit Tagen im kleinen Zimmer auf der Couch. "Klar doch!", sagt sie und alles was mir einfällt ist "Beim Leben meiner Schwester" über ein Kind, was Organspender für seine Krebskranke Schwester ist.
"Ist ja nicht mein Krebs", sagt sie und lacht laut auf. Wie schön sie ist, wie sehr ich sie liebe. Wir schauen den Film, am Ende sitzen wir da, beide unter Tränen und Lachen laut, weil es so typisch ist.
Wir sind so miteinander, dass wir an den selben stellen heulen.
Zeitsprung.
Dein Mann sitzt unten vor dem Krankenhaus und weint auf der Bank- man kann es sofort erkennen, es ist ohne jede Hoffnung. Ich sehe ihm in die Augen und frage ihn, was los ist.
"Sie kommt hier nicht mehr raus, sie kommt nicht mehr nach Hause."
Ich bin versteinert. Er bittet mich, es Dir zu sagen. Ich weiß nicht, wie mir geschieht und stimme zu. Ich habe die Nummer meiner Cousine und Ihres Mannes im Kopf. Ich kann auch hier, heute nicht in Worte fassen, was wir für eine Familie waren, als es darauf ankam.
Ich gehe hoch und nachdem alle weg sind sitze ich in dem Krankenhaus zu dem ich manchmal fahre, nur um mich an Deine Stimme zu erinnern. Ganz leise höre ich Dich Lachen.
Du siehst mich ernst an.
"Mama, Du wirst leider nicht mehr nach Hause kommen.", sage ich zu Dir.
Du bist gefasst, kurz schluckst Du, dann greifst Du meine Hand. Ich bin ebenso gefasst. Bis Du mich fragst: "Willst Du noch etwas sagen? Haben wir etwas offen?"
Ich spüre jede Träne, alles was ich empfinden kann und ganz schnell habe ich Gänsehaut. Ich weine.
"Du darfst jetzt weinen Robert, Du verlierst schließlich Deine Mama."
Diesen Satz werde ich nie vergessen, er ist in meine Seele eingebrannt und Nancy hat geweint, sobald ich es gesagt habe, sie ist auch die einzige, deren Namen ich sage, weil sie mein Leben ist und ich weiß, dass ich ihr OK habe, wenn es um unser ALLER Kapitel geht.
Ich weine ungehemmt. "Es ist wegen dem Alkohol, oder?", fragst Du und ich breche noch mehr zusammen, weil ich leider nicht so gut Lügen kann, wie ich es wollen würde. "Wir haben doch aber eine tolle Zeit gehabt und ich will das Du mir was versprichst."
Du wirst leiser, weil Du die Tragkraft dessen begreifst, was ich Dir eben gesagt habe.
"Mach einen Abschluss, mach etwas aus Deinem Leben."
Während ich das schreibe, weine ich noch mehr, denn Du hast es nie gesehen.
Ich teile Dir sehr stolz mit, denn ich hoffe Du warst dabei:
Ich habe mir den Einzelhandelskaufmann selbst finanziert und mit einer drei schriftlich und einer zwei mündlich bestanden ohne jemals eine Berufsschule gesehen zu haben.
Ich habe danach meinen Ausbilderschein gemacht. Den habe ich mit einer zwei bestanden.
Und ich bin ein Fromelier, also habe ich einen Käsemeisterbrief, womit keiner was anfangen kann, aber ich habe es getan um Dir zu beweisen, was in mir steckt.
Ich war fleißig. Und ich bilde mir ein, dass ich Deine stolzen Rufe gehört habe, für jede Schulveranstaltung die wir verpasst haben, obwohl ich immer die Hauptrolle war und mich besonders bemüht habe, damit meine Eltern stolz auf mich sind.
Zeitsprung.
"Robert, komm bitte sofort ins Krankenhaus." Meine Tante ist Atemlos. Sie hat das Telefon Deines Freundes. Ich frage, ob Oma und Opa informiert sind. "Nein, wir wollten auf Dich warten."
Okay, ich nehme allen Mut zusammen. Ich wähle die Nummer, habe ich ebenso im Kopf, ist auch meine Heimat.
Ich erspare uns die Worte, die grausamen Details. Aber ich werde den Schrei nie vergessen. Wir können nicht ermessen was es bedeutet unser eigenes Kind zu verlieren. Wir können bis es soweit ist, nie ermessen, was es bedeutet zu verlieren. Egal wen. Wir können üben, reden, denken wir wären stark, bis wir schwach zusammenbrechen.
Wir haben Dich geküsst, umarmt, im Sessel neben Dir gesessen, gelacht, noch mehr geweint.
Zeitsprung.
Ich sitze auf der Couch, bin eigentlich nicht in der Lage nur einer Sendung zu folgen. Du wirst die Nacht nicht schaffen.
Nancy und ich haben das nicht erahnt als wir gestern gegangen sind. Ich war sogar feiern, weil ich so glücklich war, dass Du gelacht hast.
Nun sitze ich hier und warte auf den Anruf der mir sagt, dass Du nicht mehr da bist. Du atmest noch, nur in einem anderen Bezirk. Und ich sitze hier und warte auf den EINEN BESCHISSENEN VERFICKTEN ANRUF!!! Wie kann das alles in ein Leben passen?
Ich schlafe ein, mit einem enormen Herzschlag.
2:19
"Herr Pester, ich muss ihnen leider mitteilen, dass ihre Mutter um 2:10 Uhr verstorben ist."
Ich atme ein, dann aus, bedanke mich und lege auf.
Ich mache mir einen Sekt auf, gehe auf den Balkon, stehe mit erhobenen Glas da und sage: "Gute Reise, mein Engel."
Ich lächle, denn jetzt bist Du frei. So frei wie Du im Leben nicht sein konntest.