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Samstag, 18. November 2017

Die Lichterkette

Ich liege auf meinem Hotelbett und starre an die Decke. Solche Räume haben es an sich, das man ins Grübeln verfällt. Hinter jeder Tür ein anderes Leben, andere Geschichten, Ängste, Sorgen, Nöte, Lachen und Freude. Und irgendwo im Raum schweben Gedanken und Gefühle. Und so tut sich mir eine Welt auf, der ich mich selten stelle. Der Moment.

Ich fange an, mir mein Leben als eine Lichterkette vorzustellen. Und eigentlich ist es ein sehr schöner Gedanke. Wir werden ausgestattet, mit einer Anzahl an Kerzen und jedes Licht an ihr stellt eine Erinnerung dar. Verbunden mit Menschen und Situationen, welche erst im gesamten einen Sinn ergeben. Manche strahlen so hell. Der Moment als ich Fahrrad fahren lernte, einen Tag, nachdem meine Mutter mein erstes Rad verkauft hatte, weil eigentlich niemand mehr damit gerechnet hatte, das ich jemals dazu in der Lage sein würde es zu lernen. Diese Kerze erinnert mich daran, dass ich alles schaffen kann, aber eben nur dann, wenn ich es zu meinen Bedingungen mache.
In einer anderen sehe ich eine Bar. Sie repräsentiert die Abende mit meinen Freunden, an welchen wir, wie für Berlin üblich, die große Politik am Stammtisch machen. Wir philosophieren, ich sehe ihr funkeln in den Augen, wenn sie voller Passion hinter einer Argumentation stehen. Ich sehe ihre Tränen, weil sie gerade so sehr in ihrem Kosmos sind, dass sie die Umgebung ausblenden können. In ihren Tränen sehe ich Liebe, ob unglücklich oder eben auch, weil sie vor Stolz auf ihre Kinder oder Ihren Lebensweg schauen und sich ihrer seltsamen Reise bewusst werden. Mir laufen Tränen, weil ich froh bin, in ihrem Leben sein zu dürfen.
Da ist die Kerze die gefüllt ist mit Momenten, welche ich so fest verschlossen habe, dass das Licht manchmal flackert. Es ist, als würden sich die Erinnerungen in mein Leben drängen wollen, wenn ich einsam bin, an mir Zweifle, hadere, ob ich gut genug bin und vor allem meinen eigenen Ansprüchen genüge. Dann packt mich die Angst. In ihr verschlossen sind Nächte voller Angst, Personen und Menschen die mich verletzt haben. Auch eine Situation an der ich glaubte zu zerbrechen. Ich kann ihn riechen, sehe seine Silhouette, aber ich wende den Blick ab, weil ich lernen musste, dass nicht jedes Aufarbeiten einer Qual auch eine Form von Linderung bringt. Manche Lichter sind einfach so heiß, das man sich am Ende nur verbrennt und die Narbe als Erinnerung und Lerneffekt tragen muss.
Manche Lichter gehen im Laufe des Lebens einfach aus. Sie stehen für Erinnerungen welche wir verloren haben. Wir sortieren bewusst aus, weil wir gar nicht alles erfassen können. Oder wir spüren den Verlust. Das Licht ist mit jenen Menschen ausgezogen, für welche es stand und nun ist dort zwar die Erinnerung eingeschlossen, jedoch wird die Strahlkraft, wie bei einem sterbenden Stern weniger. Wo auch immer sie jetzt sind, sie brauchten ihre Energie um dort heller zu Strahlen. Kerze für Kerze füllen wir die Kette mit Energie und Licht. Mit Erfolgen, in welchen wir laut geschrien haben vor Glück, mit Niederlagen, die wichtig waren, um am Ende ein gesamtes Bild zu ergeben. Den Kreis schließen zu können. Bis zu jenem Tag, an welchem langsam, nach und nach, jedes Lichtlein erlischt, wir unsere Strahlkraft verlieren und zurück schauen, auf ein prachtvolles Lichterlohes Leben. Und kurz bevor jemand kommt, um den Stecker zu ziehen, schauen wir lächelnd, wissend und demütig in das Licht...auf, in eine neue Reise.